Rede auf der Klima-Demonstration in Berlin (2021-09-24)

Vielen Dank, dass ihr heute alle gekommen seid!

Ich stehe hier als Naturschützer auf eine Klimademonstration. Als ich 14 Jahre alt war, habe ich in einer Jugendgruppe des damaligen Deutschen Bundes für Vogelschutz angefangen Naturschutz mit Händen und Füßen zu machen. Angesichts mancher Aktionen damals ist es ein Glück, dass die Füße heute immer noch dran sind.

Ich bin mit ganzem Herzen Naturschützer.

Viele von uns sind heute als Naturschützer auf einer Klimademonstration. Nicht nur weil wir solidarisch sind. Nicht nur weil in Zukunft die Erderhitzung die Biodiversitätszerstörung beschleunigen wird.

(Sicher auch dies, denn wir entscheiden jetzt, ob ein Viertel der Fischarten der Ozeane eine Überlebenschance hat oder nicht. Bei 2° Erderhitzung rechnet man mit der Zerstörung von 99 % der Korallenriffe und damit 25 % der Fischarten.)

Vor allem aber sind wir hier, weil der Erhalt unserer Lebensgrundlagen, unserer Böden, Luft, Klimasystem, Süßwasser und der Ökosysteme zusammenhängt.

Wissenschaftler:innen von Scientists for Future haben in den letzten Tagen ihre Kolleg:innen aufgerufen, heute hier teilzunehmen. Und dabei natürlich begründet warum! Sie haben damit Wissenschaftskommunikation betrieben. Auch dort haben wir gezeigt:

Klima, Artenvielfalt, Böden, Stadtentwicklung, Verkehr, Energiesystem, Friedenssicherung hängen zusammen.

Und sie hängen nicht primär gegenseitig voneinander ab, sondern sind vor allem gemeinsam den menschlichen Einflüssen unterworfen. Sie hängen ab von unserer Lebensweise, unserem Konsum, unserer Ernährung, unserer Landwirtschaft, unseren menschlichen Schwächen.

Als Naturschützer haben nicht alle von uns schon immer in diesen Zusammenhängen gedacht. Wir können der Klimabewegung hier dankbar sein.

Manche von uns sehnen sich verständlicherweise nach dem Früher, als es noch mehr wenig beeinflusste Natur gab, als die natürlichen Lebensgrundlagen noch nicht gefährdet waren. Als Naturschützer haben wir den Instinkt, die letzten Naturreste bewahren zu wollen und gefährliche neue Entwicklungen blockieren zu wollen. Und in vielen Einzelfällen ist das auch durchaus angemessen.

Aber insgesamt müssen wir nach vorne schauen. Die Vergangenheit war entweder nicht nachhaltig oder nicht lebenswert, mit Gewalt, Ungerechtigkeit, Hungersnöten, ohne Bildungs- und Gesundheitssystem. Und die Gegenwart ist schon seit Jahrhunderten nicht nachhaltig.

Wir müssen daher die Zukunft denken, mitplanen, mitgestalten. Das geht nicht ohne Kompromisse. Aber wenn wir über die Sektoren hinausdenken, wird der Naturschutz insgesamt gewinnen.

Ja, Wir brauchen mehr Windkraft und Freilandsolar. Aber wir müssen auch gigantische Flächen mit organischen Böden stilllegen (die derzeit 5% der Emissionen verursachen). Da gibt es viele Win-Win-Situationen.

Wir müssen die – unsere planetaren Grenzen sprengende – Landwirtschaft von Grund auf reformieren. Wir müssen und wollen sie zum Nutzen der Landwirt:innen reformieren! Naturschutz, Ökosysteme, Artenvielfalt, menschliche Gesundheit und das Klima kann hier gemeinsam gewinnen!

Wenn wir weitermachen wie bisher, in kleinen zaghaften Schritten, werden wir keinen Erfolg haben, das haben die letzten Jahrzehnte gezeigt. Aber wir können gemeinsam erkennen, dass wir eine Klimakrise, eine Biodiversitätskrise, und letztlich eine Nachhaltigkeitskrise haben. Und handeln, wie wir früher in Krisen gehandelt haben.

Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen werden.

Dann wird es, vielleicht 2050, eine UN Generalversammlung geben und die dann amtierende UN Generalsekretärin oder der Generalsekretär könnte in einer Feierstunde zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele vielleicht etwas sagen wie:

„Es fällt schwer zu glauben,
dass das, was heute
ein Verbrechen gegen
die Menschlichkeit ist,
früher einmal in Ordnung war“

Ich bin fest überzeugt, dass die Menschen in 30 Jahren unsere Gedankenlosigkeit und Selbstgerechtigkeit in der Zerstörung der Lebensgrundlagen mit einer ähnlichen Mischung aus Abscheu und Unverständnis betrachtet werden, mit dem wir heute historische Formen der Sklaverei betrachten.

Wenn wir unsere Gegenwart mit den Augen der Zukunft sehen, können wir die Gegenwart in eine gute Zukunft führen!


(© Gregor Hagedorn, gehalten auf dem Klimastreik 2021-09-24)

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