Rede auf der Klimastreik-Demonstration in Berlin (2019-09)

Vielen Dank, dass ihr alle hier seid!

Heute sind auch viele Wissenschaftler*innen unter uns. Bitte meldet euch einmal!

Und als Wissenschaftler*innen unterstützen die jungen Menschen in ihrem Kampf für eine gute Zukunft. Wenn ihr etwas darüber hören wollt: schaut unser aktuelles Video auf YouTube an!

Aber Greta Thunberg hat es gerade noch einmal gesagt: Es ist nicht in Ordnung, wenn die ältere Generation lobend sagt, wie toll doch die jungen Menschen sind und was sie alles bewegen – und selbst aber nicht genug tut.

Und deshalb spreche ich heute vor allem zu meiner Generation und zu den Eltern von vielen von euch jüngeren:
Wir müssen das Haus bauen, dass wir brauchen.
Lasst uns ein Haus für die Zukunft bauen!

Wissenschaft kann rationale Vorhersagen machen. Immer mit ein bisschen Unsicherheit natürlich. Und es ist ganz klar, dass wir alle nicht immer rational handeln. Aber: wir tun es doch auch ganz häufig.  Wir sorgen vor dir Zukunft, wir denken daran, was in der Zukunft geschehen wird. Wir sorgen für die Alterssicherung. Wir arbeiten hart, um unseren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Wir planen für die Zukunft, wir leben nicht in der Gegenwart.

Aber wenn es um die Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen geht, dann haben wir in den letzten Jahrzehnten das nicht getan.

Wenn es um die Zukunft unserer Kinder geht, haben wir einen Aussetzer.

Wir reden häufig darüber, dass unserer Zivilisation nicht nachhaltig ist, dass wir mehr Nachhaltigkeit brauchen. Und, wenn wir das Wort „Nachhaltigkeit“ hören, dann denken viele an so etwas wie  bessere Mülltrennung. Das ist aber Quatsch. Nachhaltigkeit heißt: wenn es nicht-nachhaltig ist, dann geht es irgendwann nicht weiter, irgendwann ist Schluss. Dann funktioniert unserer Gesellschaft nicht mehr so, wie wir sie eingerichtet haben. Dann kommt etwas anderes. Und das bricht entweder über uns herein, oder wir gestalten es. Und wir müssen letzeres tun!

Ich glaube ganz fest, dass wir die Nachhaltigkeitskrise, die Klimakrise, und all die damit verbundenen Krisen lösen können, wenn wir es wirklich wollen.
Aber wir können sie nur mit alles Kraft lösen, nur wenn wir bereit sind Kosten und Mühen auf uns zu nehmen. Von alleine passiert das nicht. 

Ich vergleiche unsere Situation manchmal mit einem Hausbau:

Wir wissen, dass wir ein Haus brauchen. Und wir haben seit Jahrzehnten die Steine, den Sand, die Balken, die Fundamente, die Geräte alles schon hingeschafft auf einen Bauplatz. Wir haben eine Plan.

Und jetzt liegt das da. Und wir – wir sitzen daneben. Und haben eine volles Leben. Ein Leben wie immer.

Wir wissen, dass wir dieses Haus bauen wollen, aber wir schaffen es nicht wirklich damit anzufangen. Wir haben unserer Zeit und unserer Liebe anderen Dingen gewidmet. Und der Hausbau ist zweifellos harte Arbeit. Kostet Geld. 

Stattdessen finden wir Gründe, nicht anzufangen.

Wir könnten ja die Steine vorher vielleicht noch optimieren.
Oder vielleicht könnte man statt dessen Forschungsförderung betreiben, in der Hoffnung dass irgendwann irgendjemand eine Maschine erfindet, die das Haus ganz von alleine baut und wir müssen nur noch auf einen Knopf drücken.

Und vielleicht könnte auch etwas schief gehen, weil der Plan nicht perfekt ist.
Das passiert in Wirklichkeit vermutlich bei den meisten Hausbauten. Und dann wird halt repariert, korrigiert, man ärgert sich etwas, aber am Ende hat man ein Haus.

Wenn wir nur Häuser bauen würden, wenn wir ganz sicher sind, dass nicht irgendwann, irgendwo einmal etwas schief gehen könnte, dann würden wir keine Häuser haben.

Als Wissenschaftler*innen können wir sagen
Wir brauchen ein Haus
Wir brauchen es schnell
Wir können es bauen
Und wenn es Fehler gibt, dann können wir sie korrigieren

Und wir können sagen: Wir werden es nicht schaffen, wenn wir keinen Fertigstellungsplan machen und weiterhin nur über kleine Zwischenschritte nachdenken. Wenn wir steckenbleiben in einer Diskussion: Wir könnten uns doch einmal erste Schritte abringen und ein bisschen etwas tun.

Als Menschen können wir sagen: Es ist eine Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dieses Haus seinen Kindern nicht bauen – und stattdessen das Haus, in dem wir leben, Stück für Stück zu verfeuern.

Lasst uns ein Haus für die Kinder bauen!
Vielen Dank!

(Das war meine erste und vielleicht letzte Rede vor 270 000 Teilnehmer, ein Erlebnis für das ich immer dankbar werde! © Gregor Hagedorn, CC BY-SA 4.0, gesprochener Text mit leichten Abweichungen. First published 2019-09-20, updated 2019-09-22)

Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Twitter picture

You are commenting using your Twitter account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.

%d bloggers like this:
search previous next tag category expand menu location phone mail time cart zoom edit close